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Luxemburgs Arbeitsminister: Kanzlerin sieht Wurzel der Jugendarbeitslosigkeit nicht hmk./now. LUXEMBURG, 25. Juni.
Der Vorsitzende der sozialdemokratischen EUArbeitsminister, der Luxemburger Nicolas Schmit, hat der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit Populismus vorgeworfen. Merkel habe sicherlich gute Absichten gehabt, als sie für die kommende Woche zur EU-Konferenz zur Jugendarbeitslosigkeit eingeladen habe, sagte Schmit in einem Gespräch mit dieser Zeitung. Er unterstelle ihr auch nicht, dass sie diese Konferenz nur mit Blick auf die Bundestagswahlen im September veranstalte. Er habe aber Zweifel daran, dass eine solche Konferenz fünf Tage nach dem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs, die Ende der Woche in Brüssel ebenfalls über die Jugendarbeitslosigkeit sprechen sollten, Sinn habe. Die derzeit debattierten Rezepte gegen Jugendarbeitslosigkeit bezeichnete Schmit als ineffizient. Die EU müsse vielmehr das Wachstum fördern und sich vom Sparkurs verabschieden. "Wenn wir die Wirtschaft ins Rollen bringen, werden auch neue Arbeitsplätze geschaffen", sagte der Arbeitsminister.
Merkel hat die Arbeitsminister der EU-Staaten und zahlreiche Staats- und Regierungschefs für den 3. Juli nach Berlin eingeladen. Die Entwürfe für die Erklärung dieses Treffens sagten mehr oder weniger das Gleiche wie die Entwürfe der Schlussfolgerungen des Europäischen Rats am Ende dieser Woche, sagte Schmit. Angesichts dessen bestehe die Gefahr, dass die verschiedenen Treffen Erwartungen weckten, die später nicht erfüllt werden könnten. In der Europäischen Union sind momentan 23,5 Prozent der jungen Menschen unter 25 Jahren ohne Beschäftigung. In Spanien liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 55 Prozent, in Griechenland sogar bei mehr als 60 Prozent. In Portugal und Italien sind mehr als 40 Prozent der jungen Menschen ohne Stelle. In Deutschland sind es hingegen nur 7,6 Prozent.
Die Staats- und Regierungschefs und die Europäische Kommission haben deshalb schon vor Monaten die Jugendarbeitslosigkeit zum zentralen Thema erklärt. Dennoch warf Schmit beiden Versagen vor.
"Die jungen Menschen haben das Gefühl, dass Europa sie verlassen hat", sagte der Arbeitsminister. In Griechenland und Spanien gingen die Menschen auf die Straße und protestierten - und der Präsident der Kommission. Jose Manuel Barroso, produziere immer nur die gleichen Phrasen. "Sprechen an sich aber genügt nicht." Die Mitgliedsstaaten müssten konkrete Schritte gegen die Jugendarbeitslosigkeit beschließen. Mit der Verbesserung der Ausbildung und der Förderung der Mobilität im Binnenmarkt sei es nicht getan, sagte Schmit weiter.
Viele der sechs Millionen arbeitslosen Jugendlichen in Europa seien durchaus gut ausgebildet. Auch bilaterale Abkommen wie das deutsch-spanische, das 5000 jungen Spaniern eine Stelle in Deutschland verschaffen soll, seien ein netter Ansatz. "Wir lösen das Problem damit aber nicht an der Wurzel."
Das gelte auch für den von der deutschen Seite propagierten Export des dualen Ausbildungssystems in die kriselnden südeuropäischen Staaten. Länder wie Deutschland oder auch Luxemburg hätten eine lange Tradition in der dualen Ausbildung. Das lasse sich nicht ohne weiteres übertragen. "Es dauert zehn Jahre, mindestens, bis ein solches System funktionierenkann", sagte Schmit. Vorraussetzung sei, dass es Unternehmen in dem Land gebe, die in der Lage und willens seien, sich daran zu beteiligen. Schmit warnte davor, zu viel Hoffnung in die von den Staats- und Regierungschefs beschlossenen 6 Milliarden Euro für den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit zu setzen. "Das sind Peanuts." Sie könnten außerdem nur dann eine Wirkung entfalten, wenn sie gezielt in den Ländern mit der höchsten Jugendarbeitslosigkeit eingesetzt würden, etwa für die Weiterbildung Jugendlicher. Es bestehe aber die Gefahr, dass sie am Ende in sinnlosen Beschäftigungsprogrammen versickerten. Die einzige Lösung sei, dass die EU Geld in die Förderung der Wirtschaft stecke, auch wenn Merkel das nicht gerne höre, sagte Schmit. "Wir müssen der Wirtschaft Luft zum Atmen geben - wie es die Kommission zuletzt schon im Falle des Defizitverfahrens gegen Spanien gemacht hat." Die EU müsse aber weitergehen und ihre Sparpolitik grundsätzlich überdenken. DieWährungsunion dürfe nicht als Sparunion weiterentwickelt werden.
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